Planen und bauen für Menschen mit Demenz mit der Planungshilfe
Demenzfreundliches Bauen und Wohnen – warum ist dieses Thema so wichtig?
Barbara Benk: „Beate Radzey hat irgendwann einmal gesagt, dass Menschen mit Demenz keine besondere, sondern eine besonders sorgfältig geplante Wohnumgebung brauchen. Es tut allen Menschen gut, wenn sie in einer gut gestalteten Umgebung leben, die sie behaglich unterstützt, mit gutem Licht, gutem Raumklima, ohne Stolperfallen, guter Orientierung, in gefühlter Sicherheit und Geborgenheit. Das macht auch die Wohnumgebung von Menschen mit Demenz aus, wenn sie sorgfältig geplant ist. Gewisse Einschränkungen, die wir im Alter haben werden, wie zum Beispiel schlechter sehen, schlechter hören, sich Dinge nicht mehr gut merken können oder sich nicht so schnell an Neues gewöhnen können – für all diese Einschränkungen brauchen wir dann Unterstützung und das kann die gebaute Umwelt bieten.“
Wie kann die Dess-Planungshilfe dazu beitragen, einen guten Wohnraum zu schaffen?
Barbara Benk: „Die Dess-Planungshilfe listet auf, wo die Einschränkungen liegen, wie wir diesen begegnen können, formuliert dazu Empfehlungen und zeigt Beispiele.“
Was sind die Inhalte der Dess-Planungshilfe?
Dr. Beate Radzey: „Die Dess-Planungshilfe ist eine Webseite, die viele Informationen darüber gibt, was wichtig ist, wenn man für Menschen mit Handicaps, insbesondere für Menschen mit Demenz, baut. Sie versucht die Perspektive eines Bauherrn und eines Nutzers einzunehmen und ihnen zu vermitteln, worauf er oder sie achten muss, wenn entsprechende Objekte geplant werden.“
Wie ist die Idee entstanden eine solche Webseite zu konzipieren?
Dr. Beate Radzey: „Wir haben mit der Demenz Support sehr viele Bauprozesse begleitet, dabei waren wir immer eine Schnittstelle zwischen Planer und Bauherr und haben versucht, eine Mittlerfunktion einzunehmen, indem wir die Nutzerbedürfnisse an den Architekten vermittelt haben. Andersrum haben wir das, was der Architekt entwickelt hat, so übersetzt, dass ein Bauherr ganz gut verstehen kann, um was es gerade geht. Die neue Landesheimbauverordnung in Baden-Württemberg hat zu einem großen Bauboom im Pflegeheim-Bereich geführt. Viele Einrichtungen mussten neu bauen bzw. umbauen, weil sie nicht mehr den neuen Anforderungen entsprochen haben. Wir haben uns gedacht, dass in so einer Phase, wo viel gebaut werden muss, eine Planungshilfe sehr hilfreich wäre. So ist die Idee entstanden, die Webseite zu entwickeln.“
Wer kann die Webseite nutzen?
Dr. Beate Radzey: „Es können alle Menschen die Seite nutzen, die in irgendeiner Weise mit der Bauaufgabe Senioren-Einrichtungen, Einrichtungen für Menschen mit Demenz betraut sind. Es sind viele Informationen darin enthalten. Der Fokus ist dennoch auf diejenigen Personen gelegt, die so einen Planungsprozess zum ersten Mal und nicht routinemäßig machen, damit sie überhaupt ein Verständnis dafür aufbauen, worauf sie achten müssen, wenn sie an einem solchen Projekt arbeiten. Ein Einrichtungsleiter beispielsweise baut einmal im Leben, während ein Architekt das häufig und immer macht. Wenn man nie in so einem Projekt drin ist, dann muss man sich einfach irgendwo Informationen holen können. Barbara Benk und ich waren deshalb bemüht, die Planungshilfe anschaulich aufzubauen, dass auch jemand, der wenig Ahnung von Bauen und Planung hat, sich die Informationen zusammensuchen kann, die für ihn wichtig sind.“
Inwieweit kann der Nutzer sein neu erworbenes Wissen einsetzen?
Dr. Beate Radzey: „Also, ich glaube nicht, dass es ausreichen wird, um einen Bauprozess zu steuern, aber man kann sich zumindest so viel Wissen aneignen, um mit einem Planer oder einem Architekten in einen vernünftigen Dialog zu treten und zu wissen, worauf es ankommt. Es hilft ein Stück weit zu verstehen, wie Planen und Bauen geht und worauf man insbesondere achten muss, wenn man für verwundbare Gruppen plant und baut.“
Woher stammen die Beispiele unter der Rubrik „Gute Lösungen“ auf der Webseite?
Dr. Beate Radzey: „Die Erich und Liselotte Gradmann-Stiftung hat über viele Jahre den Gradmann-Gestaltungs-Preis ausgeschrieben, an dem sehr viele, sehr hochwertige Einrichtungen beteiligt waren. Die Preisträger hatten tolle Konzepte und tolle Beispiele. Wir wollten die Webseite auch dazu nutzen, diese guten Praxisbeispiele vorstellen zu können, um zu zeigen, wie eine gute Einrichtung aussehen kann. Viele dieser Beispiele sind nun in der Dess-Planungshilfe unter “Gute Lösungen” zu finden.“
Wurden die Einrichtungen, die dort zu finden sind, persönlich besucht?
Dr. Beate Radzey: „Ja, wir haben uns alle Einrichtungen angeschaut. Im Rahmen des Gestaltungs-Preises haben die Einrichtungen im Vorfeld Material eingereicht und wir haben auf Basis von Fotos und Grundrissen die Bewertungen durchgenommen. Wir haben alle Preisträger besucht und vor Ort mit den Leuten Gespräche geführt und uns angeschaut, was funktioniert und diese Ansätze mit der Kamera festgehalten. Fast alle Einrichtungen, die in der Dess-Planunghilfe aufgeführt werden, sind, bis auf wenige Ausnahmen, ehemalige Preisträger des Gradmann-Gestaltungs-Preises.“
Die Webseite ist online und für alle zugänglich. Kann sie in Zukunft ausgebaut werden und wie könnte das aussehen?
Barbara Benk: „Es gibt bestimmt immer wieder Themen, die auch in der Planungshilfe ergänzt werden sollten. Zum Beispiel, wenn sich Verordnungen verändern. Aktuell erfahren wir den Klimawandel und müssen anders mit der Energie umgehen. Da wird es bestimmt die eine oder andere Ergänzung geben, die sich z.B. in größeren Einrichtungen bewährt haben. Das Wissen für die Planungshilfe stammt aus der Auswertung von wissenschaftlichen Studien und aus Evaluationen gut gebauter Beispiele. Gute Beispiele und gute Lösungen sollen natürlich auch weiter in der Planungshilfe platziert werden."
Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Beate Radzey (Foto links) und Barbara Benk
Das Interview führte Marilena Berlan von Demenz Support Stuttgart.